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Die Jungfrau



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zitat

Die schöne und reine
Weiblichkeit sollte nur durch
die schönste und reinste
Männlichkeit angezogen
werden.

- Wilhelm von Humboldt -

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Eine groteske Erzählung und Prosa, geschrieben von dem expressionistischen deutschen Schriftstellers Alfred Lichtenstein.

Die Jungfrau

Maria Mondmilch war das einzige Kind des Kunsthistorikers
Doktor Maximilian Mondmilch und der schönen Frau Marga
Mondmilch. Frau Mondmilch soll früher Wassermädchen in
dem Kaffeehaus gewesen sein, in welchem Herr Mondmilch -
der damals Student war - Tee trank und Zeitungen las und
rauchte. Nach der Geburt des Kindes hatte sie den Ehegatten
heimlich verlassen, um vermutlich mit einem Sektkellner einige
Wochen zu verbringen. Danach trieb sie sich - häufig
abwechselnd - mit sehr verschiedenen Männern sehr
verschiedener Gesellschaftsklassen herum. Sie kam erst
zurück, als sie erfuhr, dass der unheilbare Doktor in eine
Anstalt für Gehirnkranke gebracht worden sei. Sie pflegte
den todkranken Menschen sorgfältig bis zu seinem nahen
Ende. Sodann verheiratete sie sich mit einem herrschaftlichen
Kutscher, der sie abgöttisch liebte.

Die Krankheit des Doktor Mondmilch war erst erkannt worden,
als er ein mit schlimmen Strafen bedrohtes Verbrechen an der
achtjährigen Tochter verüben wollte. Glücklicherweise konnte
die Untat in dem letzten Augenblick verhindert werden. Das in
dem Herzen und in dem Hirn erschreckte Kind wurde - dem
Bruder des Verrückten - der Exzellenz Moritz von Mondmilch,
einem erstklassigen Verwaltungsbeamten, in Pflege gegeben.
Das letzte Wort des sterbenden Kunsthistorikers war: "Maria."

Zwischen dem Onkel und der Nichte entwickelte sich eine
sonderbare Zuneigung. Nichts geschah, was den Gesetzen
widersprochen hätte. Die Leidenschaft zwischen dem Kind und
dem alten Mann erregte die Eifersucht der alten Frau Minna von
Mondmilch. Durch die zu lästig gewordenen ehelichen Zwistigkeiten
fühlte sich der verärgerte Beamte einige Jahre darauf genötigt, in
eine Trennung von dem Pflegekind einzuwilligen. Er musste auch
auf die ältlich gewordenen Töchter Rücksicht nehmen. Der Abschied
war schwer, Exzellenz Moritz von Mondmilch fiel in Weinkrämpfe.

Maria Mondmilch kam in eine grosse Stadt. Man zahlte den fremden
Leuten, bei denen sie eingemietet worden war, monatlich viel Geld.
Sonst kümmerte man sich nicht um Maria Mondmilch. Mit dem edlen
Onkel wechselte sie geheime Briefe voll ausschweifender Liebes-
sehnsucht und abenteuerlicher Hoffnungen. Das Bewusstsein, ständig
Gefährliches verbergen zu müssen, gab ihr etwas Feierliches und eine
unerklärliche Überlegenheit. Die Briefe des Onkels bewahrte Maria
Mondmilch unter besonders sakralen Formalitäten auf. Ein Teil der
Briefe kam abhanden und wurde das Beweismaterial für den berühmten
Scheidungsprozess der das ganze Land erregte.

Maria Mondmilch war in der grossen Stadt Schülerin eines Mädchen-
gymnasiums. Sie gehörte nicht zu den Besten. Zeitweise arbeitete sie
fleissig. Man beschuldigte sie, allerhand Schweinereien - die vorkamen -
angestiftet zu haben. Als bekannt wurde, dass der Leiter der Anstalt
ihr abends in einer argen Strasse begegnet war, erwartete man ihre
Relegierung. In der Verhandlung gegen einen Literaturprofessor des
Gymnasiums, der, trotzdem er dringend verdächtigt war, etliche
Sittlichkeitsverbrechen begangen zu haben, freigesprochen werden
musste, war sie die wichtigste Zeugin.

Das junge Mädchen weilte in der Nacht am liebsten in den berüchtigten
Vierteln. Maria Mondmilch liess sich von allem möglichen Gesindel
ansprechen, den meisten Männern entlief sie wieder. Sie war noch nicht
fünfzehn Jahre alt, als sie sich von einem Händler, dessen Bekanntschaft
sie in einem schmutzigen Abend an einer üblen Gasse auf einer Brücke
unter einer halb verfallenen altertümlichen Petroleumlaterne gemacht
hatte, in unanständigen Stellungen nackt photographieren liess.

Als Sechzehnjährige verlebte sie die Weihnachtsferien mit einem bildschönen,
aber wildfremden Elektrotechniker - namens Hans Hampelmann - in einem
verrufenen Hotel anscheinend wie Frau und Mann.
Dass sie nach Absolvierung des Gymnasiums sich entschloss, Medizin zu
studieren, ist unschwer aus erotischen Bedürfnissen zu erklären.

Der hungrige Schauspieler Schwertschwanz - ein intelligent und verludert
aussehender Mensch, der nach billiger Schokolade stank - lief planlos
sehnsüchtig die abendlich funkelnden und lärmenden Strassen der Stadt
entlang, in welcher Maria Mondmilch Medizin studierte.
Er begegnete ihr, als sie aus einer Vorlesung über Geschlechts- und
Männerleiden traurig zurückkam. Zum Spass - ziemlich - sprach er sie an.
Gemeinsam gingen die beiden in eine Kneipe niederer Sorte.

Der Schauspieler Schwertschwanz hatte, bevor er die Studentin ansprach,
überlegt, was seine langjährige Verzweiflung augenblicklich am ehesten
begründen könnte: die schliessliche Unwichtigkeit alles Geschehens oder
nur das Malheur, dass bedeutende Männer oftmals aus Mangel an
entsprechender Nahrung und Medizin krepieren müssen...Die Unzulänglichkeit
der Frauen ... Die Unheilbarkeit der Rückenmarkschwindsucht, deren
Anzeichen er an sich zu bemerken glaubte ... Als Maria Mondmilch ihren
Beruf nannte, leuchtete er auf. Man sprach über Syphillis und die Folgen.
Fräulein Mondmilch erzählte entsetzliche Fälle. Herr Schwertschwanz hörte
erschrocken und begeistert zu. Er war entzückt, als sie - kokett betonend,
dass sie leider nur wissenschaftliche Beziehungen zu Männern unterhalten
könne - wie unabsichtich bis über das Knie ein gut geformtes, herbes Bein
sehen liess, das in einem aufregend gemeinen, halbseidenen Strumpf
befestigt war.

Die Studentin erwiderte merklich die Sympathie des Schauspielers.
Sein heruntergekommenes Aussehen flösste ihr Zutrauen ein. Seine -
auf sie eingestellte - von Schminke und Hoffnungslosigkeit, von
unmässigen Hurereien oder Onanien ringsum zerrissenen und inwendig
fast verfaulten treuherzigen blauen Augen griffen ihr an die Seele. Sein
aus Blasiertheit und unverschämter Zudringlichkeit gemisches Wesen
regte sie sehr auf. Mitten durch Gekreisch und Kellner und Bierbänke
und Ausdünstungen, in dem gelbsüchtigen Gaslicht, musste sie
schwärmerisch ausrufen:

"Einen Menschen wie Sie, Herr Schwertschwanz, habe ich bisher nicht
kennengelernt." -

Er fasste sie beglückt an. Während draussen ein Trupp Soldaten im
Vorbeimarschieren das bekannte Volkslied pfiff: Mariechen, du süsses
Viehchen .. und so weiter.

Ohne laute Verabredung hatten die Verliebten Arm in Arm die Richtung
auf die Bude der Studentin gewählt, als sie die gröhlende Kneipe verliessen.
Oben legte sich Maria Mondmilch mit übereindandergeschlagenen Beinen
auf ein Schlafsofa in der Nähe des Bücherschrankes. Der Schauspieler
versank in einen weichen Sessel, neben dem ein kleiner Tisch mit einer
zierlichen Flasche Koknak stand. Die Unterhaltung war nicht einfach.
Sie wollten einander ihre Leiden von klein auf entgegenschluchzen.
Sie wollten einander fressen, so gierig wurden sie mit der Zeit.

Etwas war dazwischen.

Der Schauspieler trank den Koknak. Die Studentin spielte nervös mit den
Händen und den Füssen.

Der Schauspieler konnte die Qual nicht mehr aushalten. Er schrie leise -
das war, als würde etwas zerschlagen:

"Ich will offen sein. Ich bin ein Syphilitiker" - -

Einige Tränen kullerten herunter. Er erschrak, wie wenig ernst ihm war.
Die Studentin hielt die Hände vor das Gesicht. Theatralisch wie er.
Aber unbewusst.

Er hatte sich nicht verrechnet. Ihre erotische Aufgeregtheit überstieg
die Grenzen. Sie wand sich auf ihrem Schlafsofa. Sie hielt ihm eine
Hand hin. Sie flüsterte:

"Armer Mann, kommen Sie." -

Er ergriff die Hand nicht. Die Augen in dem unglücklichen entsagenden
Gesicht, dessen Wirkung er schon bei vielen hysterischen Frauen erprobt
hatte, niedergeschlagen, sagte er:

"Sie wissen am besten, dass die Berührungen mit mir eventuell Sie selbst
luetisch machen könnten, obwohl in den letzten Jahren die Wassermannsche
Reaktion immer negativ war." -

Da sagte sie heroisch: "Offenheit gegen Offenheit. Ich bin Jungfrau."

Instinktiv hatte sie sich gerächt. Seiner überreizten Sinne war er nicht
mehr mächtig. Wie eine Katze sprang er auf das Mädchen mitten in dem
Schlafsofa. Nun wehrte sie sich. Mit ängstlichen Augen bereit, sich ihm
zu geben.

Bei dem Ringen sang die Studentin dem Schauspieler ihr Werbelied:

"Maria Mondmilch bin ich, das Mädchen, die Jungfrau. Öffne mir deine
Tore. Du, ich probierte viel Männerfleisch von aussen, Greise und
Jünglinge. Alle lockte ich. In allen suchte in meinen Mann. Niemand
drang tiefer als meine Haut in mich ... Ich schlich in den Tagen. Rannte
in den Nächten. Ich schlief in einem Bett mit Musikern und Aristokraten.
Mit Kaufleuten und Zuhältern und Studenten war ich zusammen. Mit
Kunstradfahrern und Rechtsanwälten trieb ich mich herum. Ich liess
keinen Mann vorüber, dem ich nicht in die Augen sah. Ob es regnete.
Oder ob Winter war. Oder ob die Sonne schien ... Niemand durfte
micht seine Frau nennen. Niemand war mein Mann. Einer hat sich
erschossen. Einer ist in einen Sumpf gesprungen. Ich bin unschuldig...
Einer ist blödsinnig geworden. Einer hat mir einen Fusstritt gegeben.
Die meisten sind weggegangen, als wäre nichts vorgefallen.
Nichts ist vorgefallen ...
Du, blauäugiges Leidensgesicht unter mir, ach, wärst du mein Mann,
dass ich in dir blühe. Bist du mein Mann, in den ich selig sinke - - "

Und der Schauspieler sang der Studentin bei dem Ringen:

"Ich bin der Schauspieler Schwertschwanz, der Mann, der Wüstling.
In allen Leibern, die ich soff, suchte ich dich. Ich bin Trinker geworden.
Aus Sehnsucht. Mein Blut habe ich aus Liebe vergiftet. Wie gleichgültig
wäre das, wenn ich - halbtot - dich jetzt fände. Ich habe dich zu viel
gesucht, um dich noch zu finden - "

Da rief Maria Mondmilch in dem Untergehen:

"Schwertschwänzchen, liebst du mich - " Und schon ertrunken:
"Er liebt mich nicht." -

Der Mann fiel verzweifelt faul zurück. Die Studentin spuckte ihm an
den Kragen. Stülpte dem Willenlosen den Hut auf den Kopf. Drückte
ein Goldstück in seine Hand. Warf ihn hinaus.

Während der Schauspieler Schwertschwanz sich unterwegs, vor
Begierde zitternd, eine geeignete Hure suchte, sass Maria Mondmilch
über einem dicken anatomischen Lehrbuch. Sah sich die Konstruktionen
eines splitternackten Mannes an. Und heulte wie ein Hund am Meer.

- Alfred Lichtenstein 1889-1914 -

Quelle: Alfred Lichtenstein, Gesammelte Prosa, Arche, 1966; Seite 66.

Alfred Lichtenstein war ein deutscher expressionistischer Schriftsteller.
Er verfasste stark groteske Lyrik und Prosa. Mehr bei Wikipedia.









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